Polarlichter - Aurora Borealis |
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POLARLICHT AM 06./07.04.2000 |
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Vorgeschichte
Nach den weithin Aufsehen erregenden Ereignissen der Jahre 1989 und 1991 hatten Polarlichtbeobachtungen in Mitteleuropa ein Nischendasein gefristet. Zwar waren vereinzelt Berichte in der Zeitschrift Sterne & Weltraum und deutlich regelmäßiger sowohl im Vereinsblatt des AKM als auch in Polaris, der Vereinszeitschrift des Arbeitskreises Sternfreunde Lübeck e.V., veröffentlicht worden. Die beiden letztgenannten hatten freilich eine sehr begrenzte Reichweite, welche kaum über die geringe Zahl der jeweiligen Vereinsmitglieder hinausging. Vor allem in Polaris wurden die Beobachtungen der Lübecker Amateurastronomen veröffentlicht, welche in den 1990er-Jahren als einzige systematisch - und mit sehr beachtlichem Erfolg - nach Polarlichtern Ausschau gehalten hatten. Dabei hatte es sich fast durchweg um lichtschwache, bisweilen nur fotografisch nachweisbare Displays gehandelt. |
Das Geschehen auf der SonneUntere der großen geomagnetischen Events der letzten Jahrzehnte nimmt das Ereignis vom 06./07.04.2000 in vielfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Ursache des Geschehens war eine Fleckengruppe (AR 8933) mit simpler magnetischer Beta-Konfiguration, welche sich bereits dem westlichen Sonnenrand näherte. Dort ereignete sich am 04.04.2000 ein im Rahmen der damaligen hohen Sonnenaktivität unscheinbarer Röntgenflare der Kategorie C 9.7. Da er jedoch recht lange andauerte (15:12 - 16:05 UT, Maximum 15:41 UT) brachte er eine schwache CME hervor, welche sich auf Grund der Position der Fleckengruppe als etwas asymmetrisch, aber im wesentlichen erdgerichtet erwies. Der C 9.7-Flare war im Rückblick der stärkste, welchen AR 8933 hervorbrachte (Suryanarayana 2010), was angesichts der o.g. magnetischen Konfiguration nicht weiter verwundert. Die Sonnenfleckengruppe AR 8933 am 04.04.2000. Rechts die magnetischen Beobachtungen. Quelle: Debrecen Photoheliographic Data .
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Verlauf des geomagnetischen Sturms am 06./07.04.2000Die CME erreichte die Erde nach knapp 51 Stunden Laufzeit am 06.04.2000 gegen 16:40 UT (= 18:40 MESZ) mit einer Geschwindigkeit von etwa 580 km/s. Dies war im Vergleich zu anderen CMEs nicht wirklich beeindruckend; auch die Dichte erreichte zunächst nur Werte um 20 Protonen/cm³. Immer noch deutete wenig darauf hin, dass sich ein geomagnetischer Sturm mit bis in den Mittelmeerraum sichtbaren Polarlichtern entwickeln würde. Entscheidend war, dass die BZ-Komponente des IMF um kurz nach 17 UT (= 19 MESZ) plötzlich nach Süden sprang und diese Ausrichtung mit bis zu -30nT stundenlang (bis etwa 00:30 UT = 02:30 MESZ) beibehielt. Als dann gegen 22 UT (= 24 MESZ) auch die Dichte rasch auf bis zu 50 Protonen/cm³ anstieg, waren alle Zutaten für einen "Perfekten Sturm" gegeben. In der nun folgenden Dreistunden-Periode 07.04.2000, 0 - 3 UT, erreichte der Kp-Wert den Wert 9-, was einem geomagnetischen Sturm der zweithöchten Kategorie G4 entsprach. Der DST-Index sank im Verlauf des insgesamt etwa 16 Stunden anhaltenden Sturms bis auf einen Wert von -288 nT. Balan et al. (2016) haben eine neuen Parameter DSTmp eingeführt, dessen Wert direkt mit der Stärke eines geomagnetischen Sturms und dessen dadurch verursachten Folgen korrespondiert. Hier steht das Ereignis vom 06./07.04.2000 an 21. Stelle im Zeitraum 1957 bis heute und damit noch etwas vor dem bekannten Bastille Day-Event im Juli 2000. Kp-Werte vom Kp-Werte vom 04. - 08.04.2000. Quelle: Michael Theusner
Im Zuge des geomagnetischen Sturms waren Polarlichter nicht nur in weiten Teilen Europas (z.B. Finnland, Schweden, England, Niederlande, Deutschland, Schweiz, Österreich, Tschechien, Italien und Frankreich), sondern auch in Nordamerika bis hinunter nach North Carolina und Florida sowie in Südafrika sichtbar. |
Das Wetter in DeutschlandSatellitenbilder (s.u.) zeigen, dass der Himmel in der Nacht vom 06. auf den 07.04.2000 in großen Teilen Mitteleuropas klar war. Lediglich der Alpenraum hatte mit stärkere Bewölkung zu tun. Im Prinzip kam es also, wie in der Wettervorhersage der Tagesschau angekündigt - inklusive empfindlicher Kälte. Bewölkung über Mitteleuropa am am 06.04.2000 um 22:30 Uhr MESZ und am 07.04.2000 um 01:30 Uhr MESZ.
Klicken Sie bitte auf die Karten, um vergrößerte Ansichten in einem separaten Fenster zu öffnen. Quelle: ISCCP-B1 Daten nach Knapp, K. R. (2008): Scientific data stewardship of International Satellite Cloud Climatology Project B1 global geostationary observations. Journal of Applied Remote Sensing, 2, 023548 (doi:10.1117/1.3043461). |
Beobachtungen des Polarlichts in Deutschland"Ich habe noch nie zuvor ein derart fantastisches Himmelsschauspiel gesehen! Jedes einzelne meiner ungezählten Nachtgewitter war nur ein schwaches Echo von dem, was diese lautlose Farbennacht da an den Himmel gezaubert hat..." (Jürgen Vollmer)Als gegen 20 UT (= 22 MESZ) kein Zweifel mehr bestand, dass ein großes geomagnetisches Event in vollem Gange war, wurde über eine der im Einleitungskapitel erwähnten Mailinglisten vom STD (Solar Terrestial Dispatch) ein Alert versendet. Dieser erreichte allerdings viel Empfänger gar nicht, weil sie sich draußen befanden, um eine seltene astronomische Konstellation zu bestaunen. Die Begegnung der zunehmenden Mondsichel mit den 3 Planeten Mars, Jupiter und Saturn war eines der herausragenden Himmelsereignisse des Jahres 2000 und entsprechend im Vorfeld vielfach thematisiert worden. Da auch das Wetter mitspielte, ließ sich wohl kaum ein an Astronomie auch nur halbwegs Interessierter dieses Ereignis entgehen. Planetenkonstellation am 06.04.2000 um 21 MESZ am Standort Bonn. Erstellt mit Stellarium.
Nicht jeder, der die Planeten-Konstellation beobachtet hatte, bekam etwas von den Polarlichtern mit. Angesichts der unangenehm niedrigen Temperaturen zog es manchen - so auch den Autor dieser Zeilen - bald (zu bald) in die eigenen vier Wände zurück. Andere harrten aus, um das gute Seeing zur Beobachtung von Galaxien zu nutzen. Viele jedoch sichteten just, als sie die Planetenbeobachtung beenden wollten, das Polarlicht und blieben gerade deshalb weiter draußen. Polarlicht-Sichtungen am 06.04.2000. Berücksichtigt wurden die 22 im Polarlicht-Archiv eingegangenen Meldungen. Obwohl diese kaum mehr als die "Spitze des Eisbergs" darstellen, zeigt das Kartenbild deutlich, dass helle Polarlichter im ganzen deutschsprachigen Raum sichtbar waren. Quelle Polarlicht-Archiv.
Aus den Beobachtungsberichten geht hervor, dass die Polarlichter im Laufe der Nacht mehrere Phasen mit stark wechselnder Aktivität durchlebten. Die dafür angegebenen Zeiten divergieren allerdings z.T. deutlich. Die doch großen geografischen Abstände in Mitteleuropa mögen dabei eine Rolle spielen. Trat die Aurora im Nordwesten Deutschlands bereits gegen 23 MESZ eindrucksvoll in Erscheinung, so war im Südosten zur gleichen Zeit nur ein rotes Glimmen tief am Nordhorizont zu verzeichnen. Dessen ungeachtet ergibt sich aus den zahlreichen Quellen nachstehender zeitlicher Ablauf (alle Zeiten in MESZ):
Datenplot der norwegischen Magnetometer Rørvik und Dombås vom 06.04.2000. Quelle: Tromsø Geophysical Observatory
Die Nacht 06./07.04.2000 brachte klassische Polarlicht-Displays mittlerer (geomagnetischer) Breiten mit einem mehr oder weniger diffusem grünen Bogen, über dem sich rote Bögen, Flächen, "Wolken", Vorhänge und Strahlen zeigten. Je weiter südlich sich ein Beobachter befand desto weniger (oder gar nichts) sah er vom grünen Polarlicht. In den Maxima der Aktivität ragten Strahlen ("Beamer") aus dem grünen durch den gesamten rote Bereich, wobei sie dort, wo sich die beiden Anregungsfarben überlagerten, gelblich oder weißlich in Erscheinung traten. Wo die Strahlen den Zenit erreichten und somit dort (scheinbar) zusammenliefen, bildeten sich kurzzeitig Polarlicht-Koronen aus. Die Displays zeichneten sich durch eine teils erhebliche Dynamik (bis hin zu Flackern/Pulsieren) in der Helligkeit aus, während die Bewegungen eher gemächlich blieben. Selbst in den Zeitraffern, welche Jan Karel Lameer und Thomas Helmes mühsam aus mit chemischem Film aufgenommenen Fotos erstellt haben (1, 2, 3), erscheinen die Bewegungen vergleichsweise langsam.
Dauerte es schon bei manchen routinierten Himmelsbeobachtern einige Zeit, bis sie begriffen, worum es sich bei dem seltsamen Phänomen handelte (s. auch Igel 2000), so waren unbedarfte Mitbürger, welche zufällig Zeugen des Geschehens wurden, damit völlig überfordert. In der Vermutung, dass ein Großbrand ausgebrochen, gar ein Chemie- oder Atomunfall geschehen oder ein UFO unterwegs sei, griffen viele zum Hörer und riefen die Polizei oder die Feuerwehr an. In einigen Fällen rückten die Einsatzkräfte aus - natürlich vergeblich.
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Nachgeschichte
Es war ein grandioser Zufall, dass auf Grund der Planeten-Konstellation am Abend des 06.04.2000 viele potentiell an Polarlichtern interessierte Menschen unter freiem Himmel gestanden hatten und ohne jede Vorahnung oder Vorwarnung mit einem sensationellen Aurora-Display konfrontiert worden waren. Ein weiterer Glücksfall war, dass mit dem Forum der Wetterzentrale ein Treffpunkt zur Verfügung stand, in dem noch in der Nacht die Erlebnisse und Eindrücke ausgetauscht werden konnten. Und schließlich fand sich mit Mark Vornhusen jemand, der das Heft in mitten der aufgeregten Diskussionen ein wenig in die Hand nahm und so - ohne es wohl in diesen Stunden selber zu ahnen - die systematische und flächendeckende Polarlicht-Beobachtung in Mitteleuropa auf den Weg brachte. Weitere wichtige Beiträge lieferten in jenen Tagen u.a. Udo Langenohl und Jürgen Vollmer. |
Literaturangaben zum Polarlicht am 06./07.04.2000Balan, N.; Batista, I.S.; Tulasi Ram, S. & Rajesh, P.K. (2016): A new parameter of geomagnetic storms for the severity of space weather. Geoscience Letters 20163:3. (Download des Artikels als pdf, 2.5 mb) Fischer, Daniel (2000): Spektakuläre Polarlichter über Mitteleuropa. Sterne und Weltraum 6/2000, 416. Helms, Thomas; Ehmann, Dietrich; Elsen, Matthias; Wagner, Martin; Richter, Manfred; Hamann, Gerald; Kerttula, Jussi; Kaiser, Karl & Schneider, Heinz (2000): Nordlicht am 6./7. April - von Finnland bis Österreich. Sterne und Weltraum 7/2000, 574-579. Igel, Günter (2000): Nordlichter im Sauerland. VdS-Journal 5, 105. Jäger, Thomas (2000): Polarlicht über NüRnberg. VdS-Journal 5, 106. Kohl, Michael & Guthier, Otto (2000): Planetenkonstellation und Polarlicht über dem Odenwald. VdS-Journal 5, 104-105. Krieg, Jürgen & Bischoff, Karsten (2000): Polarlicht über Göttingen. Sterne und Weltraum 10/2000, 882-884. Overbeek, M. D. (2000): The Great Aurora and Geomagnetic Storm of 2000 April 6-7. Monthly Notes of the Astron. Soc. Southern Africa 59, 37-39. Rendtel, Jürgen (2000a): Intensive Polarlichter 6.-7. April 2000. Meteoros 3, 79-81. Rendtel, Jürgen (2000b): Über das Polarlicht vom 6./7. April 2000. Meteoros 3, 108-110. Rendtel, Jürgen & Vornhusen, Mark (2000): Polarlichter im Jahre 2000 über Deutschland. VdS-Journal 5, 20-22. Suryanarayana, G.S. (2010): High abnormal rotation rates of sunspots and flare productivity. New Astronomy 15, 313–317. Von Agris, Agnes Maria & Biefang, Joachim (2000): Die Polarlichter am 6. April. Sterne und Weltraum 6/2000, 460-461. |